Innovationsbooster für Europa: Warum wir radikale Ideen, KI und einen Paradigmenwechsel brauchen

Europa droht im globalen Innovationsrennen zurückzufallen – jetzt ist die Zeit, die Weichen neu zu stellen. Forschung und Entwicklung gelten als Schlüsselfaktoren, um bahnbrechende Lösungen für langfristige Herausforderungen zu schaffen, die grüne und digitale Transformation voranzutreiben und Europas Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Zwei aktuelle Berichte – der EU-Report „Align, Act, Accelerate – Research, Technology and Innovation to boost European Competitiveness“ (Manuel Heitor et al., September 2024) und das österreichische Reflexionspapier (April, 2025) „EU’35: Pioneers – Prosperity – Peace“ – zeichnen ein Bild, wie innovationsgetriebene Start-ups und Visionär*innen in Europa künftig durchstarten können. Im Folgenden beleuchten wir fünf Kernthemen aus diesen Berichten, was sie für Start-ups bedeuten und wie Europa bis 2035 seine Innovationspower neu entfachen will: Wir sprechen über radikale Durchbrüche, die Chancen von Generativer KI, den EIC Accelerator, frisches Venture Capital für Deep-Tech-Start-ups und den fälligen Paradigmenwechsel in der Wissenschaft. Alles verbunden mit den Fragen: Was funktioniert schon, was fehlt noch – und wo braucht es echten Mut, um Europas Schwächen in Stärken zu verwandeln?
Disruptive Innovation: Mut zu Durchbrüchen und neuen Verfahren
Viele europäische Förderprogramme belohnen vor allem inkrementelle Verbesserungen – das ist wichtig, aber nicht genug. Der Heitor-Bericht betont, dass Europa dringend disruptive, bahnbrechende und transformative Innovationen fördern muss, um echte Paradigmenwechsel zu katalysieren. „Normale“ Wissenschaft betreibt Puzzlespiel im bestehenden Denksystem; echter Fortschritt entsteht jedoch oft erst, wenn alte Paradigmen aufgebrochen werden. Doch gerade solche Paradigmenwechsel-Innovationen sind selten und schwierig – und herkömmliche Bewertungsverfahren tun sich schwer, sie zu erkennen und zu fördern.
Hier setzen neue Einholungs- und Begutachtungsverfahren an. Weltweit experimentieren Innovationsagenturen mit unkonventionellen Methoden, um radikale Ideen aufzuspüren. Im Heitor-Bericht findet sich eine ganze Palette solcher Ansätze (siehe Box 4.1): zum Beispiel Losverfahren bei der Volkswagen Stiftung in Deutschland oder „adversarial collaborations“ – Wettbewerbe unter Gutachter*innen – wie sie die Templeton Foundation in den USA praktiziert. Auch DARPA in den USA nutzt mit dem Heilmeier Catechism eigene Leitfragen, um visionäre Projektideen zu selektieren. Solche Verfahren könnten schnelle, risikoaffine Förderentscheidungen ermöglichen, indem sie eingefahrene Bürokratie aufbrechen. Der Bericht empfiehlt, ein experimentelles Förder-Team einzusetzen, das derartig neue Programme und Bewertungsprozesse in Europa erprobt. Für Start-ups heißt das: Künftig könnten mutige Visionen eine fairere Chance bekommen – selbst wenn sie außerhalb des Mainstreams liegen.
Generative KI als strategischer Trumpf: Technologie- und geopolitisches Asset
Ein Thema, das beide Berichte hervorheben, ist die rasch wachsende Bedeutung von Generativer KI (GenAI). KI-Systeme, die Inhalte generieren können, entwickeln sich zum Gamechanger – nicht nur technologisch, sondern auch geopolitisch. GenAI besitzt das Potenzial, Forschungs- und Innovationsprozesse dramatisch zu beschleunigen und sogar zu verändern. Solche KI-Systeme könnten künftig mithelfen, Forschungsanträge zu formulieren, Förderausschreibungen thematisch klüger zu gestalten, interdisziplinäre Verbindungen aufzuzeigen und routinemäßige Aufgaben zu automatisieren. Für Innovator*innen bedeutet das: Weniger zeitaufwändige Bürokratie, mehr Fokus auf Kreativität. Zudem können GenAI-Tools die Verbreitung von Forschungsergebnissen und deren kommerzielle Umsetzung erheblich beschleunigen – ein entscheidender Vorteil für Start-ups, die schnell wachsen wollen.
Darüber hinaus ist KI zu einem geopolitischen Asset geworden, einem strategischen Trumpf, den es auszuspielen gilt. Länder wie die USA und China investieren massiv in KI und nutzen sie als Hebel für globale Technologieführerschaft. Europa kann es sich nicht leisten, hier ins Hintertreffen zu geraten. Der Heitor-Bericht fordert daher, KI – insbesondere GenAI – proaktiv und experimentierfreudig in Forschungsprogramme zu integrieren, anstatt sie vorschnell zu regulieren oder zu fürchten. Erste Förderagenturen (etwa die NSF in den USA) entwickeln bereits eigene KI-Plattformen, um Bewerbungen und Begutachtungen effizienter zu gestalten. Europa sollte GenAI strategisch verankern – etwa durch den Ausbau von Recheninfrastrukturen und Datenzugängen für Forschende. Für Start-ups ist das eine gute Nachricht: Eine innovationsfreundliche KI-Strategie könnte sowohl die Förderlandschaft erleichtern als auch neue Geschäftschancen eröffnen. Wichtig bleibt aber ein verantwortungsvoller Einsatz dieser Technik – denn bei aller Euphorie über den KI-Turbo dürfen Werte wie Reproduzierbarkeit, Verantwortung und Integrität der Wissenschaft nicht verloren gehen. Die Balance aus Tempo und Verantwortung wird zum Standortfaktor.
EIC Accelerator - Erfolge, Kritik und Verbesserungsvorschläge:
Der EIC Accelerator (European Innovation Council Accelerator) spielt eine Schlüsselrolle bei der Unterstützung von Deep-Tech-Start-ups in Europa. Dieses noch junge Förderinstrument zielt darauf ab, visionäre Unternehmen mit hohen Wachstumschancen zu identifizieren und mit großzügigen Grants plus Beteiligungskapital zu unterstützen. Seine Bilanz kann sich durchaus sehen lassen: Bereits über 500 Start-ups und KMU wurden gefördert, wobei pro investiertem Euro im Schnitt 3,8 € an privatem Kapital mit angezogen wurden. Insgesamt lösten EIC-geförderte Firmen mehr als 12 Mrd. € an Anschlussinvestitionen aus und schufen mehrere sogenannte “Unicorns” (Start-ups mit >1 Mrd. € Bewertung) – ein Beleg dafür, dass der Accelerator echte Perlen hervorbringt. Auch der Frauenanteil unter den geförderten Gründerteams ist gestiegen, und viele Projekte adressieren Europas strategische Prioritäten wie KI, Quanten oder grüne Technologien. Soweit die Erfolgsgeschichten.
Dennoch steht der EIC Accelerator auch in der Kritik. Das wichtigste Problem: eine extrem geringe Erfolgsquote für Antragsteller*innen. Laut Heitor-Bericht liegt die Bewilligungsrate bei nur ca. 8 % – die niedrigste im gesamten Forschungsprogramm Horizon Europe (zum Vergleich: Durchschnitt rund 16 %). In der im Juli 2024 abgeschlossenen Ausschreibungsrunde wurden beispielsweise von 969 validen Anträgen nach mehrstufiger Evaluation nur 68 Projekte zur Förderung ausgewählt; 273 weitere exzellente Projekte erhielten zwar ein Gütesiegel („Seal of Excellence“), gingen aber mangels Budget leer aus. Das entspricht einer Erfolgsquote von etwa 7 % und hinterlässt hunderte hochinnovative junge Unternehmen ohne die erhoffte Finanzierung – ein Ergebnis, das in krassem Widerspruch zu Europas Anspruch steht, technologische Spitzenreiter hervorzubringen. Hinzu kommt: In den Jahren 2021–2023 hat die EU insgesamt 4.622 Seal-of-Excellence-Zertifikate vergeben (u. a. an über 800 EIC-Projekte), doch nur ein Bruchteil davon wurde bisher von Mitgliedstaaten tatsächlich kofinanziert. Mit anderen Worten: Viele der „ausgezeichneten“ Ideen versanden, weil auf nationaler Ebene Mittel oder Mechanismen fehlen, sie aufzugreifen.
Was tun? Zum einen ist offensichtlich, dass der EIC-Budgettopf aufgestockt werden muss, um mehr großartige Projekte direkt aus EU-Mitteln fördern zu können – darauf hat zuletzt auch der Draghi-Bericht nachdrücklich hingewiesen. Zum anderen plädieren Expert*innen dafür, die verschenkten Chancen der Seal-of-Excellence-Projekte zu nutzen. Konkret wird vorgeschlagen, dass Mitgliedstaaten stärker in die Pflicht genommen werden, ausgezeichnete, aber von der EU nicht finanzierte Projekte mit eigenen Mitteln oder Strukturfonds zu unterstützen. Da diese Vorhaben bereits ein strenges EU-Begutachtungsverfahren erfolgreich durchlaufen haben, könnten nationale Geldgeber unbürokratisch zuschlagen, ohne eigene aufwendige Ausschreibungen – eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Einige Länder tun dies bereits punktuell, doch es braucht einen gemeinsamen Kraftakt und eventuell neue Koordinationsmechanismen (etwa im Rahmen des Europäischen Semesters), um diese Ko-Finanzierungskultur in ganz Europa zu etablieren. Und schließlich sollte der EIC Accelerator selbst weiterentwickelt werden: Österreich regt in seinem Reflexionspapier an, entlang der gesamten Innovations-Wertschöpfung eine Pipeline aufzubauen – von der Forschung (EIC Pathfinder) über den Transfer (EIC Transition) bis zur Skalierung (EIC Accelerator) – damit aus Ideen auch tatsächlich globale Unternehmen erwachsen. Kurzum, der EIC braucht mehr Feuerkraft und Verzahnung, damit keine gute Idee mehr an Finanzierungshürden scheitert.
Mehr Venture Capital für Deep Tech: Privates Kapital mobilisieren
Geld ist wie der Sauerstoff für Wachstum – das gilt besonders im Deep-Tech-Bereich, wo Entwicklungen kapitalintensiv und riskant sind. Europäische Start-ups stoßen hier jedoch oft an Grenzen. Wagniskapital (Venture Capital, VC) ist in Europa knapper und zersplitterter als etwa in den USA oder China. Ein paar eindrückliche Zahlen aus dem Heitor-Bericht: In den USA stammen rund 20 % des VC-Volumens von Pensionsfonds, in Europa nur etwa 8 %. Deutsche Start-ups erhalten Milliarden von US-Pensionskassen, während deutsche Pensionskassen selbst kaum im eigenen Land investieren. Europäische VC-Fonds sind im Schnitt kleiner, sodass sie große Finanzierungsrunden oder Folgefinanzierungen nur schwer stemmen können. Die Konsequenz: Vielversprechende Jungfirmen bekommen zwar Startkapital, bleiben dann aber im Wachstum stecken oder suchen sich Investoren außerhalb Europas. So kommt es, dass Europa zwar viele Start-ups hervorbringt, diese aber seltener zu wirklichen „Scale-ups“ werden. 2023 stellten die USA etwa 60 % der weltweiten großen Scale-ups, Europa nur 8 % – und von den 8 % entfallen die meisten auch noch auf Großbritannien. Besonders alarmierend ist der Rückstand bei Zukunftstechnologien: Im Jahr 2023 schafften 35 generative KI-Start-ups in den USA den Sprung zum großen Player, in Europa lediglich 3. Dahinter steckt ein gewaltiger Investitionsunterschied von 23 Mrd. $ Venture Capital vs. nur 1,7 Mrd. $ in Europa. Auch bei anderen Technologien zeigt sich dieses Muster. Zudem werden vier von fünf großen Finanzierungsrunden in Europa von ausländischen Lead-Investoren angeführt, häufig aus den USA. Was kurzfristig Kapital bringt, hat langfristig bittere Folgen: Know-how, Unternehmenssitze und Gewinne wandern ab, und Europas eigenes Innovationsökosystem schwächt sich selbst durch Brain-Drain.

Die y-Achse zeigt den Komplexitätsgrad der einzelnen Technologiefelder (0 – 100),die x-Achse deren Verwandtschaftsdichte. Die Blasengröße gibt den Spezialisierungsgrad der Länder an (Revealed Comparative Advantage, RCA).
Quelle: Europäische Kommission (2024) – SRIP 2024, DG Research & Innovation,Common R&I Strategy and Foresight Service, Chief Economist Unit; Berechnungen auf Basis von Google-Patents-Daten.
Die Berichte sind sich einig: Europa muss neue Wege finden, privates Kapital für Deep Tech zu mobilisieren, um diese Scale-up-Lücke zu schließen. Der EIC Accelerator war ein erster Schritt, doch angesichts des enormen Finanzbedarfs reicht öffentliches Geld allein nicht aus. Daher schlagen die Expert*innen vor, verstärkt große institutionelle Investoren ins Boot zu holen – z. B. Pensionskassen, Versicherungen, Family Offices, staatliche Förderbanken – und zwar über intelligente Hebelmodelle. Ein konkreter Vorschlag ist die Aktivierung des EIC-Fonds: Dieser von der EU eingerichtete Investmentfonds könnte für private Gelder geöffnet werden. Die Idee: Ein europäischer Deep-Tech-Fonds von etwa 30 Mrd. € über 10 Jahre, gespeist aus öffentlichen und privaten Mitteln. Die EU würde als Ankerinvestor auftreten und einen erheblichen Anteil zuschießen, um das Vertrauen weiterer Kapitalgeber zu gewinnen. Gewinne aus diesen Investments könnten wiederum in den nächsten Fondszyklus reinvestiert werden, sodass langfristig eine nachhaltige Finanzierungsquelle entsteht. Gleichzeitig könnten nationale Förderbanken unter einheitlichen Bedingungen mit investieren – ein Pilotprojekt für einen gemeinsamen europäischen Kapitalmarkt. Kurz gesagt: Jeder Euro öffentlicher Mittel soll ein Vielfaches an privatem Kapital freisetzen. Für Start-ups würde das größere verfügbare Tickets bedeuten, vom frühen Stadium bis zum Wachstum. Mehr “Smart Money” aus Europa zu bekommen hieße auch, dass heimische Investoren mit Know-how und Netzwerk an Bord sind – ein Vorteil gegenüber rein ausländischem Kapital.
Neben solchen Fonds-Ideen braucht es aber auch kulturelle Veränderungen: Europäische Anleger – ob institutionell oder privat – müssen mehr Mut fassen, in riskante Technologien zu investieren. Initiativen wie öffentliche Co-Investitionsprogramme oder Anreize für Pensionsfonds könnten hier ansetzen. Letztlich entscheidet sich Europas technologische Souveränität daran, ob genügend Kapital und Geduld vorhanden ist, um aus Forschungsergebnissen erfolgreiche Unternehmen zu formen. Die vorgeschlagenen neuen Wege weisen in die richtige Richtung, verlangen aber entschlossenes Handeln von Politik und Finanzwirtschaft.
Paradigmenwechsel in der Wissenschaft:
Von Kuhn lernen
Innovationen entstehen nicht im luftleeren Raum – sie bauen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen auf. Doch auch die Wissenschaft selbst muss sich wandeln, um wirklich disruptive Ideen hervorzubringen. Thomas Kuhn beschrieb in „The Structure of Scientific Revolutions“ (dt. „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“, 1962) eindrucksvoll, wie Forschung nicht linear fortschreitet, sondern sich in Phasen „normaler Wissenschaft“ und abrupten Paradigmenwechseln abspielt. Ein Paradigmenwechsel bedeutet, dass geltende Denkmuster und Theorien durch neue ersetzt werden – ein wissenschaftlicher Umbruch, der völlig neue Fragen und Lösungen ermöglicht. Genau solche Umbrüche brauchen wir, wenn wir große technologische Sprünge machen wollen. Der Heitor-Bericht warnt, dass inkrementelle Fortschritte allein nicht genügen, um die anstehenden Herausforderungen zu meistern. Radikale Innovation erfordert oft erst einen Wechsel der Perspektive, das Überschreiten etablierter Wissenssilos und das Infragestellen von Dogmen.
Für innovationsgetriebene Start-ups und Forschende bedeutet das zweierlei: Erstens lohnt sich ein Blick in Kuhns Klassiker – eine Leseempfehlung für alle, die verstehen möchten, wie revolutionäre Ideen entstehen und sich durchsetzen. Zweitens sollten wir eine Kultur des Hinterfragens fördern. Wissenschaftler*innen wie Innovator*innen dürfen sich nicht mit dem Status quo zufriedengeben, sondern sollten bestehende Paradigmen mutig herausfordern. Das heißt auch, Scheitern als Teil des Erkenntnisprozesses anzuerkennen – denn jeder Paradigmenwechsel beginnt mit Anomalien, mit Ergebnissen, die nicht ins alte Schema passen. Wenn Forscher*innen und Gründer*innen diese Anomalien nicht unter den Teppich kehren, sondern als Sprungbretter nutzen, entstehen echte Durchbrüche. Ein Paradigmenwechsel in der Wissenschaftskultur – hin zu mehr Offenheit, Wagnis und Interdisziplinarität – wäre somit der Nährboden für die nächste Generation europaweiter Innovationen.
Blick nach vorn: Was trägt, was fehlt, was wirklich kühnen Mut braucht
Die vorgestellten Empfehlungen zeichnen insgesamt ein ambitioniertes Bild einer innovationsfreudigen Zukunft für Europa. Was erscheint sinnvoll? Vieles. Der Ruf nach disruptiver Innovation und risikofreudigen Förderverfahren trifft ins Schwarze – Europas Förderlogik braucht mehr Moonshot-Mentalität, damit wirklich Neues entstehen kann. Auch die Betonung von Generativer KI als strategischem Asset ist klug: Statt nur über Regulierung zu debattieren, wird KI hier als Chance für wissenschaftlichen Fortschritt und wirtschaftliche Stärke begriffen. Die vorgeschlagenen Verbesserungen beim EIC Accelerator (Budget erhöhen, „Seal of Excellence“-Projekte national fördern) sind pragmatische Schritte, um bestehende Instrumente wirksamer zu machen – eigentlich „No-Brainer", wenn Europa es ernst meint mit technologischem Aufbruch. Und nicht zuletzt ist der Fokus auf mehr Wagniskapital für Deep Tech überfällig: Ohne ausreichend finanziellen Treibstoff zündet kein noch so guter Technologie-Motor. Die Idee, öffentliche Gelder mit privaten zu hebeln, zeigt einen realistischen Weg auf, wie man die riesige Finanzierungslücke schließen könnte.
Was fehlt? Trotz aller Euphorie bleiben Baustellen. Zum einen muss die Umsetzung dieser Ideen gelingen. Mutige Konzepte sind das eine, die Realität oft das andere. Ein experimentelles Förder-Team etwa klingt hervorragend – doch wie stellt man sicher, dass daraus auch dauerhaft neue Praktiken in Brüssel und den Hauptstädten erwachsen? Hier fehlt es bisweilen an konkreten Plänen zur institutionellen Verankerung solcher Experimente. Zum anderen sollte Europa neben Geld und Programmen auch an der Kultur arbeiten: Bürokratieabbau, schnellere Entscheidungswege und eine höhere Fehlertoleranz in Verwaltung und Gesellschaft. Start-ups scheitern manchmal – und das muss als Lernprozess akzeptiert werden, nicht als Makel. Diese Kultur des „Fail fast, learn fast“ wird in den Berichten nur am Rande thematisiert, ist aber entscheidend, damit die tollsten Förderinitiativen auch die gewünschte Wirkung entfalten. Auch der Aspekt der Talentanziehung könnte stärker beleuchtet werden: Geld allein nützt wenig, wenn kluge Köpfe abwandern. Europa braucht attraktivere Bedingungen für Forscher*innen und Gründer*innen – von Bildung über Gehälter bis hin zu einem offenen, internationalen Klima. Im österreichischen Papier wird das zwar erwähnt, doch in der breiten Diskussion darf es nicht untergehen.
Was ist mutig? Einige Empfehlungen verlangen tatsächlich Mut zur Veränderung. Etwa die Bereitschaft, mit heiligen Kühen der Förderpraxis zu brechen (Stichwort Losverfahren oder radikal neue Begutachtungsmethoden). Das erfordert ein Umdenken bei Gutachter*innen, Geldgeber*innen und der Politik – weg von totaler Kontrolle, hin zu experimenteller Offenheit. Mutig ist auch der Vorstoß, sehr viel mehr Geld in die Hand zu nehmen (30 Mrd. € Fonds) und damit implizit einzugestehen, dass die bisherigen Anstrengungen nicht ausreichen. Politisch ist das keineswegs trivial, denn es berührt Fragen der Haushaltspolitik und des EU-Binnenmarkt-Regimes. Positiv zu werten ist der Mut zum visionären Narrativ: Beide Berichte zeichnen ein Bild eines Europa, das Pioniergeist, Wohlstand und Frieden verbinden will. Dieser große Dreiklang – Pioneers, Prosperity, Peace – ist inspirierend, gerade weil er über rein ökonomische Ziele hinausgeht.
Am Ende liegt es an allen Beteiligten – Politik, Investor*innen, Wissenschaft und nicht zuletzt den Start-ups selbst – diese Vision mit Leben zu füllen. Die Richtung stimmt: Europa soll ein Ort werden, an dem radikale Ideen willkommen sind, an dem KI nicht als Bedrohung, sondern als Werkzeug gesehen wird, an dem Finanzierung nicht an Landesgrenzen haltmacht, und an dem wissenschaftlicher Wandel als Motor für Innovation gefeiert wird. Manche Weichen sind gestellt, viele Hausaufgaben bleiben. Für Gründer*innen heißt das: Dranbleiben, einmischen, fordern! Nutzt die neuen Chancen, vernetzt euch europaweit und habt den Mut, auch mal gegen den Strom zu schwimmen. Die Zukunft gehört den Pionier*innen – und Europa kann ihr Zuhause sein, wenn wir es jetzt richtig anpacken. Align, Act, Accelerate lautet das Motto des EU-Berichts – richten wir uns also neu aus, handeln wir entschlossen und beschleunigen wir gemeinsam den Innovationsmotor Europas.
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